Der Zug nach dem Westen, diese moderne Kulturbewegung, ist plötzlich ganz verwildert, ist ein wilder Zug nach dem „Wilden Westen” geworden, denn in den nächsten Tagen werden Tausende hinausströmen nach dem Kurfürstendamm wie gestern und durch ihre Menge wie gestern ad oculos beweisen, daß die Stadtbahn eine mangelhafte Einrichtung ist, nicht das geeignete Mittel, um den Verkehr von Berlin nach der Prairie und namentlich umgekehrt zu bewältigen. Denn die Prairie hat sich jetzt dort draußen aufgethan oder vielmehr zugethan, denn wir stehen plötzlich an einer Stelle, wo die Civilisation mit Brettern vernagelt ist und die Wildheit gegen 1 bis 4 Mark Eintrittsgeld anfängt. Uebrigens ist auch ein bißchen Zahm-Amerika mit hergekommen, die Verkäufer von „Puogemms,” wofür wir das schöne deutsche Wort „Programme” haben, von einem eigenthümlichen, aus Mais und Zucker hergestelleten, in Seidenpapier eingewickelten Gebäck, von moussirendem Hochheimer auf Eis und dergleichen Erfrischungsscherzen, die auf den Tribünen angeboten werden, dürfen als Vertreter desselben gelten. Doch da sind wir schon auf den Tribünen, die in weitem Viereck den Platz umzäunen, die vornehmen von einem Zeltdach überdeckt, die anderen umso luftiger. Es ist fünf Uhr, die Vorstellung wird bald ihren Anfang nehmen, schon hat die Musik begonnen. Nicht etwa irgend eine preußische Regimentsmusik, sondern auch eine solche transatlantischer Herkunft. Es ist eine echte Cowboy-Kapelle, die sich hier hören läßt, und was spielt sie als erste Nummer? „Drunten in der Elbe schwimmt ein Krokodil.” Also auch nach dem Wilden Westen schon ist die herrliche Melodie gedrungen, das ist die Macht der Musik! Natürlich wird man unter den besonderen Umständen auch zu einem besonderen Texte greifen müssen. Wir machen einstweilen den Vorschlag:
Und roth und gelb sind die Indianer wirklich; auch blau und grün und andere grelle Farben werden von ihnen bevorzugt, theils am Leibe, theils am Kleide. Die Sparsamsten unter ihnen beziehen ihre Garderobe einzig und allein aus dem Malkasten und die Kostüme sitzen wie angegossen, ohne Naht und ohne Wattirung. Geschminkt sind diese Herren Indianer so dick aufgetragen und geschmacklos wie die Cocotten und so abwechslungsreich wie das Programm Buffalo Bill's. Das muß man ihm lassen, dem Obersten Cody, er ist ein ganz vorzüglicher Regisseur. Wie er seine ganze wilde westliche Welt zunächst dem Publikum vorstellte, das war flott, großartig und in vortrefflicher Steigerung. Wie sie dahinsausen, die Indianertrupps und die Schaaren von Cowboys und mexikanischen Vaqueros auf ihren behenden, ausdauernden Pferden, zwischen den Gruppen die einzelnen Berühmtheiten, „Black Heart” (Schwarzes Herz), der Häuptling der Arraphoes-Indianer, Buck Taylor, der König der Cowboys, die Indianerhäuptlinge „Little Chief”, „Brave Bear”, „Eagle Horn”, wie reizend sich die Gruppe der drei Damen machte, deren eine außer ihren Reiterbravourleistungen noch die imposantesten Sprünge mit dem Pferde zum Besten gab, wie nett der junge Bennie Irving, der kleinste Cowboy der Welt, die Reihen unterbrach, bis dann nach dem Auftritt der Boy Chiefs, dem kleinen Häuptlinge der Sioux, zwei wehende Fahnen, darunter das Sternenbanner, in sausender Karriere über den Platz geführt wurden. Nun kam die Gruppe der Ogallala-Sioux-Indianer, der Häuptling Low Neck und Rocky Bear (Felsenbär), der „Medizinmann” der Sioux, bis dann, als effektvoller Abschluß des ganzen prachtvoll entwickelten Aufzuges, nach einer kleinen Kunstpause der Oberst Cody, „Buffalo Bill”, das Haupt der Kundschafter der Armee der Vereinigten Staaten und dieser interessanten, bunten Reise-Armee, heransprengte, von Beifallsrufen und Händeklatschen empfangen. Auf sehnigem Schimmel eine kraftvolle, geschmeidige Gestalt, das Antlitz zugleich freundlich und kühn, von langen, schon in's Graue spielenden Haaren umweht, in mexikanischer Kleidung, den breitrandigen grauen Kalabreser kühn auf's Haupt gedrückt, im Ganzen für unsere Begriffe wohl etwas theatralisch, aber eine durchaus sympathische Erscheinung. Er grüßt höflich die Zuschauer und kommandirt dann die Seinen, die mit kurzem Anlauf nach vorn stürmen, ein furchtbares, quiekendes, krähendes, kreischendes Geheul ausstoßend, bis sie in langer Reihe in die Zeltkulissen abgaloppiren.
Nun beginnt die eigentliche Vorstellung, die eine Menge von reiter- und Jägerkunststücken und –künsten umfaßt und oft wirklich Erstaunliches bietet. Um nur Einiges zu nennen, heben wir die außerordentlichen Schießproben des Fräulein Anna Oakley, des kleinen Johann Baker und des Herrn Daly (mit der Pistole) hervor. Zuletzt zeigte sich auch Buffalo Bill als Schütze, indem er während des Galopp-Rittes nach emporgeworfenen Glaskugeln knallte. Diese Produktion gehörte zu den Meisterleistungen Dr. Carver's, und oberst Cody, der vielleicht nicht nach Wunsch disponirt war, konnte nicht eine ähnliche Fertigkeit aufweisen. Als Regisseur aber hatte er nicht mehrfach Gelegenheit, sich hervorzuthun; der „Ueberfall eines Emigrantenzuges durch Indianer und Vertheidigung desselben durch die Grenzbewohner”, mit daran sich schließenden, quadrille-ähnlichem Tanz „Virginia Reel” der Cowboys und Grenzbewohnerinnen zu Pferde, sowie der „Angriff der Indianer auf den Deadwood-Postwagen, der von Buffalo Bill und den unter seinem Befehl stehenden Cowboys zurückgeschlagen wird”, waren mit natürlichster Lebendigkeit gegeben, ganz vortrefflich inszenirte Schauspiele. Wie bei dem Emigrantenzuge die vor 35 Jahren im Gebrauch gewesenen Wagen als „echtes Material” mitspielten, so ist auch die „Old Deadwood Coach” eine historische Rarität. Dieser alte viersitzige und mit vier Maulthieren bespannte Postwagen, der schon recht morsch und gebrechlich aussieht und keine Fensterscheibe mehr sein eigen nennt, ist schon vielen Leuten, die bis vor 18 Jahren darin die Reise zwischen Deadwood und Cheyenne antraten, zum Leichenwagen geworden, denn die Indianer ließen nicht mit sich spaßen. Heut ist die Sache weniger gefährlich, und so ließen sich denn sogar einige der anwesenden Damen des Publikums, übrigens Engländerinnen, bereit finden, mit ihren Herren gemeinsam die Reise zu unternehmen und das bald erforderliche Gewehrgeknatter aus nächster Nähe mitanzuhören. Zu diesem „blinden Wagnis” dürfte sie hauptsächlich wohl die Programm-Anmerkung bewogen haben, daß „zwei Präsidenten der Vereinigten Staaten, vier Könige und andere Fürstlichkeiten, welche dem Jubiläum der Königin von England beiwohnten”, in dem Wagen gesessen haben, natürlich auch zu einer Zeit, als das schon nicht mehr gefährlich war. Ob man übrigens alles glauben soll, was in dem umfangreichen Programm zu lesen ist, wissen wir nicht, wenigstens kann man ein bißchen verwirrt werden, wenn man am Schluß der Vorrede liest, daß die Unternehmer „die Ehre haben, sich nunmehr dem Wiener Publikum vorzustellen.” Ist das etwa wildwestlich, uns Berliner so ganz zu übersehen?
Zwei der interessantesten Nummern waren das Einreiten der wilden Pferde und die Büffeljagd. Wie die Beschreibung sagt, bocken oder springen die meisten Texas-Ponnies, wenn sie die Gelegenheit günstig finden, diese speziellen Eigenschaften zu zeigen. Manche thun dies Stunden lang und halten nur inne, um Athem zu schöpfen. „Ein bockender Mustang ist das beweglichste Schauspiel, das man sehen kann.” Das ist richtig, die Thiere krümmen im Sprunge den Leib völlig nach oben, während Vorder- und Hinterfüße sich berühren und der Kopf zwischen die Vorderbeine gesteckt wird.
The westward migration, this modern cultural movement, has suddenly gone wild, has become a migration to the "Wild West," because in the next few days thousands will pour out to the Kurfürstendamm just like yesterday, and the masses will again prove, as was obvious yesterday, that the streetcars are an inadequate system and not the appropriate means to deal with the traffic from Berlin to the Prairie and back. It is indeed the Prairie that has materialized out there, because we are suddenly standing in a place where civilization is hidden behind boards and the wilderness begins for an entrance fee between one and four Marks. Incidentally, a little bit of "tame" America has also arrived: the vendors of "puogemms", for which we have the nice German word of "Programs."1 [They also sell] a strange pastry made of corn and sugar and wrapped in silk paper, and a frothy Hochheimer2 on ice and similar amusing refreshments that are offered in the stands. These [vendors] can be considered representatives of "tame" America. And then we are in the stands that surround the arena in a wide rectangle; the upper class ones covered with a tent roof, the other ones the more airy. It is five o'clock, the performance is about to start, the music is already playing. Not some kind of Prussian military band, but one with transatlantic origins. It is a real cowboy-band we can hear here, and what is their first song? "Down in the Elbe a Crocodile Swims."3 Even to the Wild West this wonderful melody has reached, this is the power of music! Of course, under these special circumstances we have to apply special lyrics. Our suggestion:
And red and yellow the Indians truly are, also blue and green and other bright colors are their preference, partly on their bodies, partly on their clothing. The most frugal among them literally draw their wardrobe onto their bodies, and therefore their costumes fit them perfectly, no seams and no padding. The Indians' make-up is as thick and tacky as that of the Cocotten4 but as varied as the program of Buffalo Bill. This we must admit, this Colonel Cody is a very exquisite producer. The way he presented his whole wild western world to the audience was fast-paced, magnificent, and in perfect progression. How they raced around, the Indian groups and the masses of cowboys and Mexican vaqueros, on their quick, arduous horses, in between the groups of several celebrities; "Black Heart5," chief of the Arapahoe,
Now the actual show begins, which includes a multitude of trick riding and trick shooting and often is truly amazing. To mention just a few we would like to highlight the shooting of
Two of the most interesting acts were the taming of the wild horses and the buffalo hunt. According to the description, most of the Texas ponies will buck and jump when they find the opportunity to demonstrate such special skills. Some of them do that for hours on end, and only pause to take a breath. "A bucking bronc is the most animated spectacle possible." That is correct; the animals buck their bodies up during the jump, while their front and hind feet touch and their heads are lowered between their front legs.